blanka beirut: gedanken,ideen, wortgestecke und satzbrechungen zum tage aus libanesisch deutscher schriftstellerinnensicht

Montag, 25. Januar 2010

Alis Tante

Der gestreifte Nachbar springt aus der Tür und überfällt Blanka Beirut wie der Schneider im Struwwelpeter mit einer Schere. Aber nicht auf ihre Daumen hat er es abgesehen, nein, eine Haarlocke auf Blankas Schulter muss dran glauben. Er besteht darauf, mit ihr befreundet zu sein, schließlich sei sein Urgroßvater auch Zederngärtner gewesen. Ach, als ob das genüge. Das ist ja fast Rassismus. Blutslehre. Nichts hat Blanka ansonsten mit ihm gemein. Und nett ist er auch nicht zu ihr. Ganz im Gegenteil: Wenn der Nymphensittich im Hausflur quietscht, beschwert er sich. Das wäre ja noch schöner. Sie ist auch nicht mit Gaddafi befreundet, der ja sogar arabisch spricht. Es nutzt nicht mal, dass er sich als Alis Tante verkleidet. Mit fuchsrotem Hütchen und vornehmem Tüchlein winkt er die afrikanischen Flüchtlinge zum Mittelmeer durch. Aber nur, wenn er gute Laune hat. Den ansonsten lässt sie gar nicht rein, der Hautfarbe wegen. Doch für das alles sind die Ohren des gestreiften Nachbarns taub. Er buhlt weiterhin auf unfreundliche Weise um Freundschaft. Als Blanka rausgeht, hat sich eine Schneeschicht auf den Zweigen der Baumreihe gebildet und das Geäst in ein undurchdringliches weißes Spinnennetz verwandelt. Der gestreifte Nachbar hat sein Fenster geöffnet und keift ihr nach. Auf ein im Fensterrahmen liegendes Kissen gestützt. Da bröckelt die Schneeschicht leicht.

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